Ekaterina Sevrouk

Fremd bin ich eingezogen

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Geprägt durch meine persönliche Lebens- und Einwanderungsgeschichte sowie beeinflusst durch die journalistische Kriegsfotografie meines verstorbenen Vaters Sergey Sevrouk, dessen Namen ich auch als Künstlernamen gewählt habe, interessiere ich mich insbesondere für die Lebenswelten und -umstände von Migrantinnen und Migranten und Flüchtlingen. Mein Weg von Russland nach Deutschland führte mich über Österreich, wo ich von 2010 bis 2015 in Wien und St. Gilgen lebte. Gegenwärtig lebe und arbeite ich in Berlin, halte mich jedoch projektbezogen regelmäßig in Salzburg auf.
Als kulturelles Zentrum ist Salzburg über die nationalen Grenzen hinaus allseits bekannt und geschätzt. Darüber hinaus tritt Salzburg durch eine besonders engagierte Flücht- lingspolitik in Erscheinung und zeigt der Welt, was ein Land und seine Bevölkerung im Umgang mit Migrationsbewegungen bewirken kann.
Als Fotografin bin ich bestrebt, meine künstlerischen Ausdrucksmittel zu nutzen, um

  • ästhetisch anspruchsvolle Bilder zu kreieren, die über die Tagespolitik und die reine Dokumentarfotografie hinausreichen
  • zeitgeschichtlich relevante Ereignisse wie die aktuellen Migrationsbewegungen in und um Österreich festzuhalten
  • einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten und die BetrachterInnen zur Prüfung der Frage anzuregen, inwieweit wir noch zu den Idealen der Humanität und zum Geist der Aufklärung stehen, die die Frühromantik prägten.

Mein persönlicher Dank gilt den in meinen Bildern auftretenden Personen für ihre Bereitschaft an meinem Projekt mitzuwirken.
Ekaterina Sevrouk

 

Ekaterina Sevrouk, geboren 1975 in Moskau, ist seit 2015 Studentin an der Neuen Schule für Fotografie in Berlin.

Martin Hochleitner

Für ihr Projekt Fremd bin ich eingezogen fotografiert Ekaterina Sevrouk männliche Flüchtlinge aus Afrika in Naturräumen und teils exponierten alpinen Gegenden Öster- reichs. Die 2015 begonnene Serie umfasst bislang rund 80 Bilder. Das vorrangig in der Landschaft des Salzkammerguts verortete Projekt setzt intensive Gesprächssituationen der Künstlerin mit den Flüchtlingen voraus. Sevrouks Vorstellung und Erläuterung der konkreten Bildidee in Asylheimen bilden den Ausgangspunkt eines Kommunikations- prozesses, in dem sich die künstlerische Intention einer Fotografin mit dem Selbst- verständnis der Flüchtlinge und ihrer Selbstwahrnehmung im Rahmen des Projekts verschränken. In diesem Sinne ist auch jede Aufnahme das Ergebnis einer konkreten Beziehungsarbeit, die respektvoll zwischen einer inszenatorischen Bildkonzeption Sevrouks und dem Subjektstatus der Flüchtlinge im gewählten Setting vermittelt.
Der für die Serie gewählte Titel, der sich auf Franz Schuberts Liederzyklus Winterreise und die diesem zugrunde liegenden Gedichte Wilhelm Müllers bezieht, eröffnet zu den Bildern einen Raum von Bezügen und Andeutungen, die sich sehr spezifisch in der Ikonografie und der Wirkung der Fotografien widerspiegeln. So gelten die 1827 komponierten Lieder – vom passionsgleichen Weg eines Wanderers zwischen über- schwänglicher Freude und hoffnungsloser Verzweiflung – sowohl als ein Hauptwerk der Romantik als auch der subtilen politischen Kritik, mit der Schubert auf die reaktionäre und restaurative Politik seiner Zeit reagierte. Wo es Schubert gelang, mit dem Klavier die Melancholie und Seelenlage des Fremdlings auszudrücken, vermag Sevrouk mit den Mitteln der Fotografie eine Stimmung und Atmosphäre des Fremdseins zu entwerfen. Gerade weil Sie die Aufnahmen in ihrer Gesamtwirkung an historische Malereikonzepte des 19. Jahrhunderts von romantischen Naturerfahrungen und gefühliger Ausdruckskunst anlehnt, geraten die afrikanischen Flüchtlinge zu mehrfach konnotierten Allegorien des Fremden: „displaced“ in der österreichischen Natur beziehungsweise im heimischen Gebirge, zeitlich entrückt, stimmungsmäßig isoliert und als Versatzstücke in einer europäischen Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts, das sein Konzept der Romantik parallel zur kolonialen Ausbeutung unter anderem des afrikanischen Kontinents und seiner Menschen verfolgte.
Das Resultat ist eine Serie von Bildern, die der schicksalshaften Lebensgeschichte von Menschen mit einer Ästhetik der Würde begegnet und die Themen von Flucht, Migration und Asyl selbst in einen transitorischen Zustand zwischen Bild und Wirklichkeit entrückt – auch im Sinne der Fortsetzung der Winterreise: „Fremd bin ich eigezogen, Fremd zieh’ ich wieder aus.“

 

Martin Hochleitner, geboren 1970 in Salzburg, ist Archäologe und Kunsthistoriker mit Schwerpunkt auf Curatorial Studies, Referenzkunst und Bildtheorie. Seit 2012 ist er Direktor des Salzburg Museum. Er lebt und arbeitet in Salzburg und Linz.